Warum muss englisches Gemüse fade schmecken?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die englische Küche ist wesentlich besser als ihr Ruf. Und ich liebe englisches Essen, und England sowieso. Das Frühstück ist ein wahres Fest, für das man sich reichlich Zeit nehmen sollte. Und ich bekenne: Die matschigen weißen englischen „Chips“, sowas wie unsere Pommes, finde ich toll und genieße sie mit Essig und mit ganz wenig Salz. Auch Baked Beans, Sausages, Poached Egg, Lamb Chops mit Mint Sauce und der traditionelle Christmas Pudding, ein Kuchen aus Rosinen und Pflaumen, sind für mich ‚heaven on earth‘. Bei meinen zahlreichen Aufenthalten in England habe ich nie wirklich schlecht gegessen. Und spätestens seit Jamie Oliver hat die englische Küche einiges an Vielfalt gewonnen.
Aber wie ist das mit dem englischen Gemüse? Das ist wirklich meistens schwach. Weich, blass und geschmacklos.
Was läuft da schief?
Es ist mal wieder die Physik, die gegen die englischen Köche arbeitet. Genauer gesagt sind es zwei physikalische Vorgänge: Osmose und Diffusion.
Als Osmose bezeichnet man die Bewegung von Molekülen durch eine halbdurchlässige (semipermeable) Membran. Eine Zelle ist von einer solchen Membran umschlossen. Diese Membran lässt Wasser in beide Richtungen durch. Andere Moleküle werden jedoch nicht hindurchgelassen.
Betrachten wir nun zum Beispiel die Zellen einer Erbse. In den Zellen befindet sich Wasser und Zucker und weitere Stoffe. Auf der anderen Seite der Membran, also außerhalb, befindet sich nur Wasser.
Nun gibt es in dieser Konstellation einen Grundsatz: Ein Lösungsmittel, in diesem Fall das Wasser, strebt immer auf die Seite einer semipermeablen Membran, auf der eine höhere Konzentration gelöster Moleküle vorliegt. In der Erbsenzelle sind mehr Moleküle im Wasser gelöst als außerhalb. Also strebt das Wasser in die Erbse hinein und verdünnt die dortige Konzentration. Dadurch verliert die Erbse an Geschmack.
In Verbindung mit der Hitze beim kochen werden die Zellwände allerdings auch aufgesprengt, weil sich der Druck in der Zelle erhöht. Dadurch gelangen die Nährstoffe der Erbse wieder in das Wasser im Kochtopf. Und hier kommt die Diffusion ins Spiel. Die Wassermoleküle bewegen sich sehr schnell, wenn das Wasser kocht. Dadurch verteilen sich die Geschmacks- und Nährstoffe der Erbse im ganzen Topf und in der Erbse bleiben nach einer Weile nur noch die groben Zellstrukturen zurück. Das Wasser wird dann abgegossen und übrig bleibt eine relativ geschmacklose ehemalige Erbse.
Wie lässt sich das aber verhindern? Wir wollen die Erbsen doch nicht roh essen.
Hier können wir an verschiedenen Punkten ansetzen. Zunächst müssen wir das Wasser davon überzeugen, außerhalb der Erbse zu bleiben. Wir müssen also mehr größere Moleküle im Wasser lösen und damit seine Dichte erhöhen. Das geht mit Zucker und Salz.
Weiterhin können wir dafür sorgen, dass die Zellwände der Erbse weitgehend intakt bleiben.
Das lässt sich mit einer niedrigeren Temperatur erreichen. Außerdem können wir mit sehr wenig Wasser arbeiten und dieses dann zur Zubereitung unseres Essens verwenden, z.B. für die Sauce.
Auch die Garzeit können wir reduzieren. So bleibt die Zellstruktur der Erbse weitgehend erhalten und sie schmeckt kräftig und knackig.
Frisches Gemüse, z.B. Möhren, Paprika, Broccoli oder Blumenkohl, kommt bei mir überhaupt nicht in’s Wasser, sondern wird nur mit Dampf gegart. Ein Einsatz für den Kochtopf genügt dazu völlig, notfalls auch ein Sieb, das genau auf den Topf passt.
In den Topf kommt dann nur wenig Wasser mit etwas Zucker und Salz. Die Platte wird nur auf höchste Stufe gestellt, bis das Wasser ganz leicht siedet, dann zurückschalten auf kleinste Stufe, Deckel drauf und nach höchstens zehn Minuten ist das Gemüse gar. Auch die natürliche Farbe bleibt schön erhalten.
Also, liebe Engländer, tut euren kontinentalen Gästen einen Gefallen und seid nett zu eurem Gemüse. Wenn das zu schwierig ist, nehmt Gemüse aus der Dose. Das wird nämlich sehr schonend gegart und die Aromen und Vitamine sind noch drin.
Enjoy your meal!
Habt Ihr noch Gemüse im Kühlschrank? Dann schreibt mir, und ich überlege, was man daraus machen kann.